ProRad hat am ersten Septemberwochenende das fünfjährige Bestehen gefeiert. Wir haben Den Bosch besucht – eine niederländische Stadt, die 2011 die Auszeichnung „Fahrradstadt des Jahres“ bekam.
Imke Grenzdörffer,
Tanja Malchow und
Helmut Stahl am Ortbeton-Radweg im Wald.
Unsere Eindrücke von diesem Besuch möchten wir gerne teilen!
Ein paar Worte zum Fietsersbond
Das Mobilitätskonzept
Ein kurzer Straßenabschnitt nur für Radverkehr und Busse
Ein Kreisverkehr als Modell für einen besseren Europaplatz
Die Radwege außerhalb der Innenstadt
Von Überfliegern und Unterführungen
Induktionsschleifen vor Ampeln – grüne Welle für Radverkehr
Unvermeidbar: Schutzstreifen an mehreren Stellen
Betonradweg
Roermond
Weiteres
Den Bosch liegt 30 km nördlich von Eindhoven. Das obige Bild entstand außerhalb der Stadt, auf einem nigelnagelneuen Ortbetonradweg. Wir waren begeistert von dem tollen Fahrgefühl auf diesem Radweg.
Aber der Reihe nach. Natürlich haben wir am Samstagmorgen, nach Ankunft am Hauptbahnhof zuerst angefangen, die Stadt zu erradeln. Dabei wurden wir von zwei Mitgliedern des Fietsersbond, Aad und Frits, begleitet, die uns sehr freundlich empfangen und qualifiziert durch ihre Stadt geführt haben. Die beiden haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir das Jubiläumswochenende sehr entspannt genießen konnten.
Ein paar Worte zum Fietsersbond
Aad und Frits erzählten uns, dass relativ wenige jüngere Menschen im Fietsersbond mitarbeiten. Eine Tatsache, die auch wir in Düren sehr bedauern. Für uns hatte die Tatsache, dass unsere Begleiter etwas älter sind, allerdings den großen Vorteil, dass die Kommunikation auf Deutsch mühelos verlief. Denn die jüngere Generation der Niederländer lernt in der Schule fast nur noch Englisch.
Etwas anderes kam uns ebenfalls vertraut vor. Aad und Frits berichteten, es habe nach Gründung des Fietsersbond viele Jahre gedauert, bis die Verantwortlichen auf den verschiedenen Behördenebenen eine Beteiligung zugelassen haben. Es gab eine Reihe von Wünschen, für die man jahrelang habe kämpfen müssen. Einerseits tröstet uns das, andererseits aber ist das auch frustrierend, denn trotz unseres 5-jährigen Jubiläums stehen wir noch eher am Anfang unseres Engagements. Dennoch: Wie die Erfolge des Fietsersbond zeigen, lohnt es sich, beharrlich zu sein.
Das Mobilitätskonzept
1. Der Bahnhof als Transitstelle von Bahn zu Rad und umgekehrt
Die erste Überraschung erwartete uns gleich nach der Ankunft in Den Bosch. Unsere Begleiter sagten, dass es an den meisten Bahnhöfen, Metro-Stationen etc. der Niederlande die Möglichkeit gibt, sogenannte OV-fietsen auszuleihen – zum Preis von nur 3,85 € pro Rad für 24 Stunden! Dass die Räder über nur einen Gang und ausschließlich über eine Rücktrittbremse verfügen, war zunächst gewöhnungsbedürftig, dann aber überhaupt kein Problem, weil Den Bosch – genau wie Düren – praktisch keine Steigungen bereithält. So sind die Räder auch wenig anfällig für Beschädigungen. Das ist angesichts des schnellen Check-in und Check-out (mit kontaktloser Chipkarte) von Vorteil.
2. Abstellplatzkonzept in der Innenstadt
Mitten in der Innenstadt zeigten Aad und Frits den staunenden deutschen Besuchern das Fietsenstalling in der Kerkstraat: ein – in diesem Fall – unterirdisches Fahrradparkhaus. Es kann kostenfrei genutzt werden und bietet 1.100 Stellplätze in bester Citylage. Wir haben das Treiben in und an dem Fahrradparkhaus eine Weile beobachtet. Es hat uns besonders beeindruckt, wie verschieden die Menschen waren, die ein- und ausgingen. Das Rad ist in den Niederlanden tatsächlich für alle Alters- und Gesellschaftsgruppen ein ganz alltägliches Verkehrsmittel. Zudem gibt es Platz für alle Arten von Fahrrädern, auch für Lastenräder und jede Menge Ladeplätze für E-Bikes.
3. Park/MIV-Konzept der Stadt
Autos sieht man im Bereich der Innenstadt Den Boschs fast gar nicht. Das Verkehrskonzept der Stadt sieht vor, dass Besucher – soweit sie nicht ohnehin per Rad, Bahn oder Bus anreisen – ihr Auto „vor den Toren der Stadt“ (in einem Transferium) abstellen. Dort gibt es ausreichend Parkraum und die Möglichkeit, mit Bussen oder stadteigenen Leihfahrrädern (ganz ähnlich wie OV-fiets) kostenlos in die City zu gelangen. Das nutzen die Menschen ausgiebig. Die City war so voll mit Menschen, wie wir es aus Düren gar nicht kennen. Das ist aber auch kein Wunder, denn die autofreie Innenstadt von Den Bosch ist durch das Verkehrskonzept der Stadt gut zu erreichen und lädt wirklich sehr zum Shoppen, Verweilen und der Nutzung der tollen gastronomischen Angebote ein.
Teile der Innenstadt sind nur über elektronisch gesteuerte Poller erreichbar. Das nachfolgende Bild ist nur eines aus mehreren Beispielen:
Ein kurzer Straßenabschnitt nur für Radverkehr und Busse
Von der Innenstadt aus gelangen wir über eine Radialverbindung nach Norden zum aktuellen Stolz des Fietsersbond Den Bosch: Eine Verengung eines Straßenabschnittes, mit Verbot für Kfz. Nur Fahrräder und Busse kommen hier durch. Die Autos müssen diesen Abschnitt umfahren. Fietsersbond hat fast 30 Jahre für diese Einschränkung für den MIV gekämpft, um eine Entlastung der Innenstadt vom MIV und eine komfortable Radverbindung in die City zu erreichen.
Diese Neuerung ist erst seit August dieses Jahres realisiert. Möglich wurde dies nicht zuletzt durch die Einsetzung eines Verkehrsdezernenten, der selber täglich Rad fährt und die Probleme und Wünsche der Radfahrer kennt und die Chancen in der Förderung des Radverkehrs erkennt.
Ein Kreisverkehr als Modell für einen besseren Europaplatz
Im weiteren Verlauf dieser Radiale wurden wir zu einem Kreisverkehr geführt, bei dem die Stadt Mut bei der Gestaltung bewiesen hat. Tourenleiter Aad erklärt, dass der Radverkehr rings um den Kreisel in beiden Richtungen geführt wird. Um die Risiken zu minimieren, hat man an den Zufahrten sehr auffallende „Achtung Vorfahrt“-Schilder positioniert (siehe Bild) und Anrampungen für den MIV realisiert.
Eine solche Lösung wäre in Düren am Europaplatz wünschenswert. Dort wäre ein Vorrang für Radfahrende – wie es ihn früher gab – wünschenswert. Die Stadt Düren hatte die Vorfahrt für den Radverkehr nach Rücksprache mit der Polizei zurückgenommen, was angesichts der Zebrastreifen, die dem Fußverkehr die Überquerung der in den Kreisverkehr einmündenden Straßen erleichtern, inkonsequent erscheint. Dazu kommt, dass es auch nach der Änderung der Vorfahrtregelung weiterhin Unfälle mit Radfahrerbeteiligung gibt. Wir wollen, dass der Radverkehr am Europaplatz Vorfahrt bekommt. Das ist nach dem Vorbild des Verkehrskreises in Den Bosch nicht nur möglich, sondern eine Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und zur Förderung des Radverkehrs.
Die Radwege außerhalb der Innenstadt
Zurück nach Den Bosch: Von dem im vorigen Abschnitt beschriebenen Kreisverkehr startet die Radschnellroute F59 in Richtung des Vorortes Rosmalen über verschiedene Radwegarten:
1. Parallelstraßenabschnitte für beide Richtungen als Radvorrangroute, mit Tempo 30 und Vorfahrt
Einbahnstraße für Kfz.
Alter Zustand Pflastersteine: Parkbuchten in Fahrtrichtung rechts -> Dooring-Gefahr für Radfahrer.
Tempo 30, also standardmäßig rechts vor links.
Beide Bilder: StreetView
Wer selber schauen möchte: hier.
Neuer Zustand rot asphaltiert: Parkbuchten in Fahrtrichtung links -> Guter Sichtkontakt Radfahrer in Bildrichtung/Pkw-Insassen.
Trotz Tempo 30 Vorfahrtregelung!
(siehe Haifischzähne an Einmündung)
2. Zweirichtungsradwege
Überhaupt gibt es ziemlich häufig Zweirichtungsradwege, wie wir im Laufe des Tages feststellen konnten.
Von Überfliegern und Unterführungen
Ziel dieser Fahrt ist ein anderer Verkehrskreis jenseits der Autobahnüberquerung, kurz vor Rosmalen. Hier wurde eine beeindruckende Brücke für Radfahrer und Fußgänger realisiert, ein sogenannter „fly-over“. Dieser macht seinem Namen alle Ehre. Ohne Wartezeiten – quasi im Flug – überqueren Radfahrer den Verkehrskreis und können ihre Fahrt in alle Richtungen fortsetzen. Zu verdanken ist das dem System der Zweirichtungsradwege, die in Den Bosch – wie gesagt – weit verbreitet sind.
Wir erfuhren, dass diese Brücke zusammen mit dem Umbau des Kreisverkehres für den motorisierten Verkehr zu einem sogenannten Turbo-Kreisverkehr realisiert wurde. Ohne diesen Umbau würden Radfahrer weiterhin „unten“ fahren. Erfreulicherweise kümmern sich die Verantwortlichen darum, dass auch der Radverkehr profitiert, wenn Baumaßnahmen für den Autoverkehr anstehen. Bei uns sucht man eine solche Haltung leider immer noch vergeblich.
Von der Innenstadt aus betrachtet in entgegengesetzter Richtung zu Rosmalen gibt es eine Brücke und drei tolle Radverkehrsunterführungen unter einer Hauptverkehrsstraße, im Schnitt alle 400 m wird eine teilweise neue Ringstraße niveaufrei überquert:
Unterführung 1 (nachfolgendes Bild) führt zum Krankenhaus. Ganz im Vordergrund sind jetzt ein Kreisverkehr und zwei weitere Tunnel (2) gebaut worden. Grund: Siehe roter Text in der Grafik. Auf dem Bild klicken für einen Besuch in diesem neuesten Zustand.
Wie hier ersichtlich ist, müssen Autos diese Hauptverkehrsstraße über eine Kreuzung überqueren, während Radfahrer ohne Wartezeiten einfach weiterfahren können. Das ist nicht nur bequem, sondern führt auch dazu, dass z.B. Pendler ihr Ziel mit dem Rad kaum langsamer als mit dem Auto erreichen können (Bilder: GoogleMaps).
Unten im Bild links ist inzwischen ein Kreisverkehr und weiter unten ist das neue Transferium Deutersestraat entstanden.
Die letzte Unterführung (5, nachfolgendes Bild) verbindet Den Bosch mit einem weiteren Vorort, Vught. Und während unseres Besuches führt diese Unterführung zum Übernachtungsquartier Hotel Guldenberg.
Wir stellen begeistert fest, dass der Radverkehr aus Vororten Ringstraßen, die um die Stadt führen, auf maximal komfortable und zügige Weise queren können.
Induktionsschleifen vor Ampeln – grüne Welle für Radverkehr
Der Rückweg vom Turbo-Kreisverkehr in die Innenstadt ging überraschend flott. Zur Erklärung wiesen Aad und Frits auf die Induktionsschleifen (Bild) hin, die vor den Ampelquerungen in die Radwege eingelassen sind. Das hat eine vergleichbare Wirkung wie eine herkömmliche grüne Welle für Kfz!
Im Laufe des Tages konnten wir immer wieder feststellen, dass das System wirklich gut funktioniert! Das liegt auch daran, dass es rd. 25 m vor der Ampel ebenfalls Induktionsschleifen gibt: Einmal fuhren wir auf einer Vorfahrtstraße mit Grün auf eine Ampel zu. Diese schaltete zunächst auf Rot, weil Autos in der Seitenstraße warteten. Unsere Überraschung war groß, als die Ampel wieder auf Grün schaltete, als wir näherkamen. Die Autos mussten warten, während wir unseren Schwung nutzen konnten! Das ist phantastisch, denn auch Radfahrer – besonders Pendler – freuen sich nicht nur über eine Zeitersparnis, sondern auch darüber, Kraft zu sparen.
Apropos Schwung: Es gibt neuerdings eine App namens Schwung, welche die Steuerung über Induktionsschleifen noch einmal verfeinert.
Unvermeidbar: Schutzstreifen an mehreren Stellen
Nachdem die begleitete Tour zu Ende war, haben wir die Innenstadt zu Fuß besucht und sind anschließend ganz bewusst über Umwege zum Hotel gefahren, um die tolle Radinfrastruktur in Den Bosch noch einmal so richtig auszukosten. Dabei lernten wir auch Stadtstraßen kennen, die mit Schutzstreifen ausgestattet sind. Es sind Straßen oder Straßenabschnitte mit weniger Seitenraum. Allerdings sind diese Schutzstreifen wesentlich breiter als bei uns. Wir konnten nebeneinander fahren, auch wenn es manchmal etwas enger wurde. Denn die meisten Autofahrer in den Niederlanden akzeptieren Radfahrer als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Es gibt kein Hupen und kein Drängeln.
Betonradweg
Wir haben bei diesem Ausflug wirklich Glück gehabt. Denn wir wollten einmal die viel gepriesenen Betonradwege, die vor Ort vergossen werden, selbst ausprobieren. Wie sich im Vorfeld der Reise herausstellte, gibt es in der Nähe unseres Hotels „Guldenberg“ einen Ortbetonradweg, der erst wenige Tage zuvor eröffnet wurde. Wir können nur sagen: Ein super Radweg! Neue Asphaltradwege stellen zwar ein anfangs genauso gutes Fahrgefühl bereit, aber Beton ist formstabiler, wodurch der Fahrkomfort länger erhalten bleibt. Und von den Querfräsungen alle paar Meter spüren wir nichts!
Uns hat auch gefallen, dass dieser Radweg Randmarkierungen und eine Mittelmarkierung aufweist. Am Abend sind einige ProRadler den Radweg im Halbdunkel gefahren. Die helle Farbe führt zu einem wesentlich entspannteren Radeln als auf schwarzem Asphalt.
Auf der Rückfahrt nach Düren haben wir im Zug viel über die gewonnenen Eindrücke diskutiert. Wir sind überzeugt, dass sich die Radverkehrslösungen, die in Den Bosch gefunden wurden, auch in Düren umsetzen lassen. Darüber, dass in Düren bezüglich der Radverkehrsförderung „viel Luft nach oben“ ist, waren wir uns ohnehin schon lange einig. Nun haben wir in Den Bosch erleben können, dass viel Rad- und wenig motorisierter Verkehr sich außerdem sehr positiv auf die Lebensqualität in einer Stadt auswirkt.
Roermond
Eigentlich wollten wir unterwegs auch 20 Minuten in Roermond aussteigen. Der dortige Teil des Innenstadtringes, der vor einigen Jahren als Einrichtungsstraße mit zwei Fahrspuren, einer Busspur in die Gegenrichtung und zwei Zweirichtungsradwegen umgebaut wurde, führt nämlich direkt am Bahnhof vorbei. Leider war der Sonntag aufgrund unseres langen Aufenthalts im schönen Nationalpark „de Loonse en Drunense Duinen“ bereits sehr ausgefüllt, so dass wir auf diesen Programmpunkt verzichtet haben. Dafür stellen wir hier einen Streetview-Link vom Roermonder Bahnhofsvorplatz bereit: Zum selber virtuell erkunden -> auf das Bild klicken!
Informationen zu unserem Innenstadtringkonzept für Düren gibt es hier.
Weiteres
Mit dem Besuch in Den Bosch haben wir – ohne es vorher so deutlich zu ahnen – ein supergelungenes Wochenende gehabt: Das Nützliche wurde in optimaler Weise mit Entspannung (am Sonntag) verbunden. Zur Nachahmung empfohlen!
Eindrücke des Sonntages werden von Elmar Farber in seinem Blogbeitrag (auf seinem eigenen Blog) vermittelt. In einem anderen Blogbeitrag findet sich seine persönliche Darstellung von Eindrücken von Den Bosch als Fahrradstadt.
Die Ortsgruppe des Fietsersbond Den Bosch hat über unseren Besuch berichtet: https://denbosch.fietsersbond.nl/2020/09/06/arbeitsgemeinschaft-uit-duren-bezoekt-den-bosch/
Dieses Bild ist der Titelseite einer kleinen Powerpoint-Präsentation mit einigen Zahlen und vorher/nachher-Vergleichen entnommen. Diese Präsentation wurde uns zur Verfügung gestellt. Wir haben die Texte ins Deutsche übersetzt (PDF – Klick aufs Bild).
Frisch: Eine nette Erläuterung einer der Kreuzungen am südlichen Rand der Innenstadt („we were here“): https://bicycledutch.wordpress.com/2020/04/29/a-huge-transformaton-in-%CA%BCs-hertogenbosch/
Merke: Diese Radstreifen zwischen Rechtsabbiegespur und Geradeaus-Spur gab es in den Niederlanden bis zur Jahrtausendwende ziemlich häufig. Heute sieht man sie sehr häufig hier. Zum Beispiel auch in Düren. Das bestätigt exemplarisch, dass alles hier mit bis zu 40 Jahren Rückstand aufgeholt wird.
Ein Audiobeitrag zu Utrecht:
Autokorrektur Folge 5
https://www.quarks.de/podcast/utrecht-eine-stadt-steigt-aufs-rad-um-autokorrektur-folge-5/
Utrecht – eine Stadt steigt aufs Rad um
Utrecht gehört zu den Top-Fahrradstädten weltweit. Für den Radverkehr gibt die Stadt nicht nur viel Geld aus, sie hat auch einen Plan.